Festenberg unter Russen und Polen
Von Paul Schillheim +
Es wird wohl alle Festenberger, die nicht wieder in die Stadt
zurückgekehrt waren interessieren, wie es nach dem Zusammenbruch
ausgesehen hat und wie wir Deutschen bis zu unserer endgültigen
Ausweisung von den Polen behandelt worden sind.
Als wir am 1. Juni 1945
nach mühevoller 14tägiger Fahrt aus dem Sudetenland in Festenberg
anlangten, wurden wir beim Kaufmann Pelz angehalten. Es erschien ein
Russe, der unsere drei Wagen, es waren das Gespann meines Bruders Robert
Schillheim, von Fleischermeister Kleinert und Landwirt Witschorek,
durchsuchte, aber nichts wegnahm. Am nächsten Tage
mußten wir uns alle bei den Russen, die ihr Büro im Hause von
Tischlermeister Frost am Viehmarkt hatten, melden. In der Hauptsache
wurden wir befragt, ob wir Mitglied der NSDAP waren. Es kamen immer mehr
Festenberger zurück, so daß wir mit den annähernd 100 Zurückgebliebenen
an 300 waren. An Polen waren ungefähr 100 in Festenberg.
Die Stadt bot,
besonders von der Kiefer-Ecke bis zum Ring einen trostlosen Anblick. An
der rechten Seite standen noch sechs Häuser: das Haus von Kiefer,
Lingott, Schmidt, Büsser, Volksbank, Swoboda. Auf der linken Seite waren
es nur noch drei: Schikore, Böhm, Laube. Alle anderen Häuser waren
vollkommen ausgebrannt. In den noch stehenden Häusern waren sämtliche
Schaufenster eingeschlagen und mit Sperrplatten vernagelt, die Wohnungen
durchwühlt und zum Teil ausgeraubt. Ferner war das Rathaus, die Post,
das Schützenhaus, Kaufmann Pelz, Restaurant Thamm, die drei Häuser von
Pohl, Wieczorek und Hippe ausgebrannt. Das Amtsgericht, der Bahnhof und
die drei Kirchen waren unbeschädigt. Die Gebäude der Holzindustrie
standen noch, aber der Kessel war gesprengt. Der Platz davor, wo sonst
die Stämme lagen, war von den Russen zu einem Park verwandelt. Nun, von
den Deutschen eingezäunt, mit Blumen und Sträuchern bepflanzt, Wege
geschaffen und mit einer Eingangspforte versehen. Das Dreieck davor war
ein kleiner russischer Friedhof. Hier standen Denkmäler mit Inschriften.
Zwei Festenberger Frauen mußten dort täglich gießen und sauber halten.
Auch alle Straßen mußten von den Festenberger Frauen gefegt werden. So
lange die Russen in Festenberg waren, war es noch erträglich, trotzdem
sie ja gleich im Anfang außer meinem zurückgebliebenen Bruder Otto
einige Festenberger erschossen hatten. Sie bezahlten mit dem
Besatzungsgeld gut, schlachteten viel Rinder, wovon mancher Bissen für
uns abfiel. Ich selbst mußte einmal in ein Quartier im Hause von
Malermeister Krüger kommen, alle rasieren und haarschneiden, wurde gut
bezahlt, bekam Mittagessen und ein großes Stück Rindfleisch zum
Mitnehmen. Als sie aber abgezogen waren und immer mehr Polen nach
Festenberg kamen, wurde es für uns Deutsche immer schlechter. Weiße
Armbinden mußten wir tragen, die Polen grüßen und alle Arbeiten
verrichten.
Im Amtsgericht hatten die Polen ihre Büros. Alle,
nicht ständig bei den Polen Beschäftigten mußten sich dort am Eingang
jeden Morgen zur Arbeitseinteilung melden. Die Frauen mußten waschen,
Wohnungen sauber machen, Garten bearbeiten. Die Männer Holzsägen, die
Stauanlage befestigen, und sauber machen und Feldarbeit leisten.
Außerdem mußten sich die Männer jeden Sonntag früh mit einem Spaten
versehen auf der Goschützer Straße sammeln und wurden von einem Polen
zur Arbeit abgeführt, einmal sogar bis nach Wildheide. Auch wurden
Männer und Frauen eines sonntags früh auf einen Lastwagen verladen und
nach Frauenwaldau auf den Bahnhof gefahren. Dort lagerte
hochaufgestapeltes Heu in Ballen gepreßt. Das mußte verladen werden.
Alle Tischler wurden gleich im Beruf beschäftigt. Die Fabrik von Ristel
war in vollem Gange. In der Tischlerei Fritz Pohl war ein großes
Furnierlager. Die Furniere waren von den Russen alle auf den Hof
geworfen und damit vernichtet. Auch das reiche Bretterlager von Fritz
Krause wurde zur Bahn geschafft und abtransportiert. Alle Maschinen und
Motoren wurden abmontiert und auf Lastwagen verladen und weggeschafft.
Sogar die Umformer von unserer Lichtanlage baute man ab. Aus der
evangelischen Kirche wurden vom Chor die Bänke herausgerissen und die
Kirche zu einer katholischen Kirche gemacht. Wir konnten in der Kapelle
evangelischen Gottesdienst abhalten. Die evangelische Krankenschwester
hatte dabei - sowie auch bei Beerdigungen - den Pastor vertreten. Der
evangelische Friedhof wurde von unseren Frauen so gut es ging
saubergehalten. Heute soll er Weideplatz für die polnischen Kühe sein.
Die katholische Schule wurde von den polnischen Kindern besucht. Die
landwirtschaftliche Schule war Diakonissenheim und die neue evangelische
Schule wurde polnisches Gymnasium. Im Hause von Lehrer Hänsel,
Bahnhofstraße, saß die polnische Polizei. Jeder Festenberger, der irgend
etwas Schlechtes über die Polen sagte, oder sonstwie in Verdacht stand,
kam dorthin in den Keller und wurde verprügelt. Viele von unseren Leuten
mußten aus ihren Wohnungen heraus, wenn ein Pole die Wohnung haben
wollte. Die Festenberger Landwirte mußten bei den Polen Knecht spielen.
Ein deutsches Geschäft bestand nicht mehr. Ich hatte mein Frisörgeschäft
wieder eröffnet, aber bald brachte der polnische Bürgermeister einen
polnischen Frisör, ein richtiger Verbrechertyp, der schon im deutschen
Gefängnis gesessen hatte. Ich konnte wohl eine Zeitlang die deutschen
Männer rasieren, hatte aber nichts zu sagen. Die Einnahme floß in seine
Tasche. Auch aus meiner Wohnung mußte ich heraus. Ich war allerhand
Schikanen ausgesetzt. Ich sollte mit meiner Frau verschwinden. Dies
hatten bis dahin schon viele gemacht, sie sind mit Frau und Kindern des
nachts auf und davon. So war bald die Einwohnerzahl im umgekehrten
Verhältnis. 300 Polen aber nur 100 Deutsche.
Wir waren froh, als am 18. Oktober 1946 rote Plakate an die Häuser
geklebt wurden, worauf stand, alle Deutschen sollen sich für drei Tage
mit Proviant versorgen, denn sie würden wegtransportiert. Schon am
nächsten Morgen ging eine polnische Kommission in die Häuser und befahl
den Deutschen, sich auf dem Ring zu sammeln. Gepäck soviel ein jeder
tragen konnte. Das war der erste Transport. Beim zweiten, am Sonntag
früh, war ich mit meiner Frau auch dabei. Es ging teils zu Fuß mit
Handwagen oder wer Geld hatte fuhr mit einem Panjewagen nach Groß
Wartenberg. Die erste Nacht wurde in der Turnhalle, die zweite in einer
Gutsscheune übernachtet. Am dritten Tag ging es mit dem Güterzug ins
Lager nach Taucha bei Leipzig. In jeden Wagen kamen 36 Personen mit
Gepäck und am Freitag früh langten wir endlich im Lager an. Dies sollten
wir 14 Tage nicht verlassen. Wir wurden bei schmaler Kost untersucht,
gebadet, entlaust und eingeteilt. In den 14 Tagen starben viele.
Als die Zeit um war, wurden die Arbeiter und Bauern auf die Dörfer
verteilt, die Handwerker, Beamte und Lehrer kamen nach Leipzig. Ich kam
mit meiner Frau zu einem recht unfreundlichen Ehepaar, welches uns nicht
aufnehmen wollte. Wir waren froh, als acht Tage vor Weihnachten 1946 von
unserem Sohne die Einreisegenehmigung nach Zell-Weierbach im
Schwarzwald eintraf.
Die Eisenbahnfahrt von Leipzig nach Offenburg dauerte bei Kälte und
Finsternis, Hunger und Durst, ohne Schlaf, drei Tage und drei Nächte.
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