Evakuierung des Kreises im Januar 1945
Von Friedrich Wäscher +
Der damals zuständige Landrat von Reinersdorff trat mit Erreichung der
Altersgrenze -im September 1944 in den Ruhestand. Von seiten der
Regierung in Breslau wurde ich mit der Geschäftsführung der
Kreisverwaltung in Groß Wartenberg ab 1.10.1944 beauftragt. Die
kommissarische Leitung als Bürgermeister der Kreisstadt war mir bereits
1942 nebenamtlich, ebenfalls von der Regierung in Breslau, übertragen
worden. Nun lag die gesamte Verantwortung für den Kreis Groß Wartenberg
in meiner Hand. Während den einzelnen Besprechungen der Landräte bei der
Regierung wurde die Evakuierung durchgesprochen und im einzelnen
festgelegt. Natürlich durfte über eine eventuelle Räumung nicht
gesprochen werden, weil die Partei sich in dieser Frage miteingeschaltet
hatte und sich vorbehalten hatte, den Zeitpunkt einer Räumung von sich
aus bekannt zu geben. Die Weihnachtsfeiertage konnten wir noch in Ruhe
verleben, obwohl die Nachrichten von der Front sehr beunruhigend waren.
Es wurden auch nach Weihnachten in den Gemeinden schon Vorbereitungen
für eine Räumung getroffen. Diese sollte in sogenannten Trecks erfolgen.
Jede Gemeinde sollte einen Treck bilden. Die Fahrzeuge wurden mit Planen
überspannt, damit Kälte und Regen keinen Schaden machen konnten. Mit den
einzelnen Bürgermeistern stand ich in ständiger Verbindung, weil ich in
Erfahrung gebracht hatte, daß die Räumung etwa Mitte Januar zu erwarten
sei. Die örtlichen Parteidienststellen hüllten sich in tiefes Schweigen.
Einige Tage vor der Räumung kamen schon die Trecks aus den polnischen
Gebieten durch Groß Wartenberg, die uns nun Klarheit über die
militärische Lage gaben. Alles strebte Breslau zu.
Stillschweigend
wurden alle Bürgermeister von mir über die neue Lage unterrichtet und
gleichzeitig aufgefordert, alle Treckfahrzeuge für einen plötzlichen
Abmarsch bereit zu halten. Familien ohne Fahrzeug mußten ihr Gepäck mit
den Familien mit Fahrzeugen zusammenlegen. Von dieser Weisung hatte die
Partei in Groß Wartenberg Kenntnis erhalten, die mir mit einem Verfahren
drohte und meine Entlassung von den Dienstgeschäften veranlassen wollte.
Hierzu kam es nicht mehr, weil am 18.1.1945 der Räumungsbefehl
bekanntgegeben wurde. Nun waren die Parteigrößen auch verschwunden. Die
Räumung vollzog sich in der Nacht vom 18. zum 19. Januar. Für die Stadt
Groß Wartenberg stand ein Sonderzug zur Verfügung. Die Kranken aus dem
Krankenhaus und alte, gebrechliche Einwohner wurden mit dem Zug
abtransportiert. Auch aus Festenberg und Neumittelwalde wurde der größte
Teil der Bevölkerung mit der Bahn abtransportiert. Am Abend des 20.1.
fuhr ich mit dem Auto noch einmal durch den Kreis, um zu erfahren, ob
alles geräumt war. Meine Fahrt führte mich über Neumittelwalde. Auf der
Höhe bei Kraschen vor Neumittelwalde wurde ich mit meinem Fahrzeug schon
von feindlichen Panzern beschossen, die von Honig anrollten. Nun fuhr
ich über Schönsteine, Goschütz nach Festenberg. In den nördlichen Teil
konnte ich nicht fahren, weil die Russen dort bei Wedelsdorf schon
eingebrochen waren.
In Festenberg waren noch einige Unentwegte
zurückgeblieben, die dann mit Fahrrädern und anderen Fahrzeugen abzogen.
So setzte ich meine Erkundigungsfahrt nach Rudelsdorf und Groß
Wartenberg fort. Am Abend kam ich glücklich wieder in Groß Wartenberg
an. Was menschenmöglich war, ist durchgeführt worden. Immerhin blieben
noch Teile der Bevölkerung freiwillig zurück, von denen ein Teil das
Leben dafür hingeben mußte. Diesem Schicksal ist auch der bekannte
Rechtsanwalt Zoeke in Groß Wartenberg zum Opfer gefallen. Er hatte sich
stets als Verteidiger für die Polen eingesetzt und wurde eins der ersten
Opfer.
Aufgrund einer Weisung sollten die Behördenleiter als letzte die
Heimat aufgeben. Zu diesem Zweck begab ich mich nach meiner Rückkehr aus
dem Kreis, am Sonntag, den 20.1. zum Abschnittskommandant, um die Lage
zu erkunden. Leider konnte ich wenig erfahren. In der Nacht vom Montag
zu Dienstag (21. zum 22.) war auch für mich die Zeit gekommen Groß
Wartenberg zu verlassen. Leutnant Rehfeld von den Landjägern des
Kreises, der mir treu zur Seite stand, ist kurz vor unserem Abmarsch aus
der Stadt noch gefallen. Ich setzte mich über Stradam nach Oels ab.
Als Unterkunft für den Kreis Groß Wartenberg war Schweidnitz und
Umgebung vorgesehen. Hier wurde die Verwaltung notdürftig wieder
aufgebaut. Die Schreibmaschinen und die wertvollen Maschinen aus der
Sparkasse hatten wir mitgenommen. Wir konnten in Schweidnitz auch noch
die Gehälter und Löhne zahlen. Unser Aufenthalt in Schweidnitz dauerte
10-14 Tage. Die Russen belagerten Breslau und Schweidnitz wurde dabei
auch mit Bomben belegt. Nun wurden sämtliche Verwaltungsstellen
aufgelöst. Der Maschinenpark und alle Konten der Sparkasse wurden in
einem sehr schönen und trockenen Keller in Wünschelburg untergebracht.
Die Trecks wurden über das Gebirge nach dem Sudetenland weitergeleitet.
Wenn bis Schweidnitz noch eine einheitliche Leitung der Trecks vorhanden
war, so änderte sich dieses in der Tschechei. Die letzten Männer wurden
aus den Trecks noch abgezogen und zum Volkssturm gerufen. Die Frauen
wurden nun ihrem Schicksal überlassen. Was unsere Frauen in diesen
schrecklichen Tagen der Flucht geleistet haben, wird einer späteren
Geschichtsschreibung vorbehalten bleiben.
Der übergang über das Gebirge in die Tschechei war mit ungeheuerlichen
Schwierigkeiten verbunden. Fast alle Fahrzeuge waren ohne Bremsen, so
daß Notbremsen selbst angefertigt werden mußten. Männer waren kaum noch
vorhanden. Wer noch eben laufen konnte, war beim Volkssturm. Die Pferde
waren zum großen Teil nicht scharf beschlagen und in den Bergen gab es
Eis und Schnee. In der Tschechei angekommen, wurden wir sehr kühl und
reserviert empfangen. Nach dem Zusammenbruch wurde uns unsere sämtliche
Habe weggenommen. Auch die Trecks mußten Fahrzeuge und Gespanne abgeben.
Viele liebe Menschen sind dort durch Tschechen umgebracht worden. Ein
Teil der Landsleute entschloß sich zur Rückwanderung in die Heimat, weil
die Russen dazu aufgefordert hatten. Der Empfang durch die Polen, die
inzwischen unsere Heirnat in Besitz genommen hatten, war unmenschlich
und grausam. So kehrten viele abermals der Heimat den Rücken und
versuchten den sicheren Westen zu erreichen. Andere mußten noch Monate
für die Polen arbeiten, bis auch sie nach dem Westen abgeschoben wurden.
Die Zahl der Toten wird wohl nie ermittelt werden können.
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