|
Groß Wartenberg Schloßkirche
|
Die evangelische Kirche im
Kreise Groß Wartenberg
Von Walter Blech
Die Reformation hat im Gebiet des späteren Kreises Groß Wartenberg schon
früh Eingang gefunden. Zum Teil gehörte es zum Fürstentum Oels. Dort
regierte Herzog Karl I., der im Briefwechsel mit Luther stand. Seine
Söhne erließen 1538 eine evangelische Kirchenordnung und begründeten ein
Kircheninspektorat mit dem Sitz in Oels. Seit 1561 wurde der
Kircheninspektor Superintendent genannt. Nach unseren Begriffen wäre die
Bezeichnung Generalsuperintendent sinngemäßer gewesen.
Superintendenturen waren vielmehr die ihm unterstellten Seniorate. Eine
Erinnerung an diese alte Einrichtung war bis in die jüngste Zeit in
Festenberg das "Seniorgäßchen", an dem das untere Pfarrhaus lag.
Groß
Wartenberg war zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine Freie
Standesherrschaft. Der Freiherr Joachim von Maltzan hatte sie 1529
übernommen und führte um 1550 die Reformation ein. Er bestellte einen
Superintendenten mit dem Sitz in Groß Wartenberg.
1810 finden wir Groß
Wartenberg und andere Kirchen im Verband der Breslauer Landdiözesen. Sie
waren damit dem Breslauer Kircheninspektorat unterstellt. 1822 wurde aus
diesem Kirchengebiet eine besondere Diözese Groß Wartenberg - Namslau
ausgesondert. 1871 erfolgte die Bildung einer selbständigen Diözese Groß
Wartenberg. Der erste Superintendent dieser neuen Diözese (später
Kirchenkreis genannt) war der Pastor Appenroth in Neumittelwalde.
1920
verlor der Kreis Groß Wartenberg nahezu die Hälfte seines Gebiets und
zwei Fünftel seiner Einwohner. Davon wurde auch der evangelische
Kirchenkreis hart betroffen. Von den 21208 Einwohnern, die zu Polen
kamen, waren rund 13 000 evangelisch. Vier Kirchspiele (Schreibersdorf,
Groß-Friedrichstabor, Bralin und Honig) wurden völlig an Polen
abgetreten. Von den Kirchspielen Groß Wartenberg und Neumittelwalde
blieben die Pfarrorte und eine Reihe von
Dörfern bei Deutschland, andere zu diesen Kirchen gehörende Ortschaften
fielen an Polen. Von der Kirchengemeinde Suschen wurde der größte Teil
mit Kirche und Pfarre abgetreten, zwei Dörfer (Neurode und Grenzhammer)
blieben bei Deutschland. Mit Suschen kam auch der damalige Sitz der
Superintendentur mit dem Superintendenten Voß zu Polen.
Der arg
zusammengeschmolzene Kirchenkreis wurde zunächst von der
Superintendentur Oels verwaltet. Am 1. November 1923 wurde der
Kirchenkreis Groß Wartenberg neu begründet. Am 12. Juli 1924 wurde ich,
damals Pastor in Pontwitz, Kreis Oels, zum Superintendenten dieses
Kirchenkreises ernannt. Am 1. November 1925 siedelte ich nach Festenberg
über. Um den Kirchenkreis wieder lebensfähig zu machen, wurden ihm
mehrere Kirchengemeinden aus den benachbarten Kirchenkreisen zugeteilt:
vom Kirchenkreise Bernstadt-Namslau Reesewitz und Pontwitz-Schollendorf,
vom Kirchenkreise Oels Briese, Großgraben und Maliers (Malen). Die
Kirchengemeinde Brustawe (Eichensee), Kreis Militsch, die zum
Kirchenkreise Groß Wartenberg gehört hatte, dann aber der
Superintendentur Militsch unterstellt worden war, kehrte zu ihrem alten
Kirchenkreis zurück. So umfaßte der neue Kirchenkreis Groß Wartenberg
wieder 12 Kirchengemeinden mit 23 450 Seelen, 14 Kirchen, 13
Pfarrstellen und einem Pfarrvikariat.
Der evangelische Kirchenkreis Groß
Wartenberg griff also über den Landkreis Groß Wartenberg erheblich
hinaus. Da aber dieses Buch nicht vom Kirchenkreis, sondern vom
Landkreis Groß Wartenberg handelt, soll im folgenden nur über die
Kirchengemeinden Näheres gesagt werden, die im Landkreis Groß Wartenberg
lagen. Es sind dies: Groß Wartenberg, Ober-Stradam, Festenberg,
Goschütz, Neumittelwalde und Schollendorf.
Groß Wartenberg - Ober-Stradam
Wie bereits bemerkt, hatte der Besitzer
der Freien Standesherrschaft Groß Wartenberg Freiherr Joachim von
Maltzan um 1550 die Reformation eingeführt. Eine grundlegende
Veränderung trat hierin ein, als die Herrschaft im Jahre 1592 durch Kauf
in den Besitz des katholischen Burggrafen Abraham von Dohna kam. Damit
begann für die Evangelischen eine sehr schwere Zeit. In der Pfarrkirche
zu St. Peter und Paul wurden
evangelische Gottesdienste verboten. Man ließ den Evangelischen nur
die kleine St. Michaeliskirche. Diese brannte 1637 ab; der Wiederaufbau
wurde nicht erlaubt. Die evangelischen Geistlichen und Lehrer mußten die
Stadt verlassen. Viele Evangelische wanderten damals aus. Eine Wende
trat ein, als am 18. März 1735 Ernst Johann Graf Biron, der 1737 von den
kurländischen Ständen zum Herzog von Curland gewählt wurde, die
Herrschaft Wartenberg kaufte. Der Herzog erwies sich als ein warmer
Beschützer der Evangelischen. Er richtete an den Kaiser in Wien das
Gesuch, eine evangelische Schloßkapelle erbauen zu dürfen. Diese
Erlaubnis wurde ihm am 5. September 1735 erteilt, wobei allerdings die
Einschränkung gemacht wurde, daß nur die Bürger der Stadt und die
Adeligen vom Lande an den Gottesdiensten teilnehmen durften (also nicht
die andere Bevölkerung). Die Kapelle wurde am 4. November 1736
eingeweiht, erwies sich aber sehr bald als viel zu klein.
Mit dem Ende
der österreichischen Herrschaft und der Besitznahme Schlesiens durch
Preußen fielen manche Beschränkungen fort (wenn auch zunächst noch nicht
alle). Vor allem erhielten die Evangelischen in Schlesien von Friedrich
d. Gr. die Erlaubnis zum Kirchbau, wo man den König darum anging. So
konnte in den Jahren 1785-1789 der Herzog Peter Biron von Curland nach
den Plänen des Kgl. Baurats Karl Gotthard Langhans, des Erbauers des zum
Symbol gewordenen Brandenburger Tors in Berlin, die evangelische
Schloßkirche erbauen lassen, die heute noch steht. Die Baukosten in Höhe
von 40 000 Talern trug der Herzog. Die Kirche ist im klassizistischen
Stil erbaut. Am 29. November 1789 (l. Advent) wurde sie durch den
Hofprediger Sassadius eingeweiht und "ad Johanneum et Petrum" genannt.
Die Statuen der beiden Apostel grüßen vom Dachsims. Der Turm hat als
krönenden Abschluß nicht wie sonst ein Kreuz oder einen Turmhahn,
sondern ein wohl einzigartiges Symbol: die Weltkugel, von einer Schlange
umschlossen, Sinnbild der vom Bösen gefangengenommenen Welt, und darüber
Kelch und Hostie, die Zeichen des Abendmahls und damit der erlösenden
Gegenwart Christi. In dem Turm schwangen drei Glocken. Die beiden
größeren mußten 1941 abgegeben werden. Nach dem Zusammenbruch lagerten
sie in Hamburg und lassen heute als "Patenglocken" in Preetz (Holstein)
ihre eherne Stimme erschallen. Sie sind dem Groß Wartenberger Pastor Werner Seibt
dorthin nachgefolgt. Die Groß Wartenberger Schloßkirche steht noch und
ist heute eine polnisch evangelische Kirche mit eigenem Pastor. - In der
Sakristei der Kirche ist der geschnitzte eichene Beichtstuhl
bemerkenswert, ferner ein Altarbild, das noch aus der alten
Schloßkapelle, der Vorgängerin der Schloßkirche, stammt. Als besonderer
Schmuck der Kirche dürften der von der Gemeinde zum hundertjährigen
Jubiläum des Gotteshauses geschenkte 56-armige Leuchter und die drei
Denkmalspfosten mit den Namen der Gefallenen anzusprechen sein. Die
Orgel wurde 1945 zerstört.
Die Kirchengemeinde Groß Wartenberg hatte
zuletzt 4 200 Seelen. Durch die Abtretung von 1920 verlor sie drei
Dörfer (Groß-Kosel, Mechau und Perschau). Sie hatte aber immer noch eine
weite Ausdehnung. Früher war das in noch größerem Umfang der Fall. Es
war für das kirchliche Leben ein großer Segen, daß sich im Laufe der
Jahre Tochtergemeinden von der Muttergemeinde lösten. 1856 wurde Bralin
Predigtstation mit einem Vikar und nach Erbauung der Kirche 1875
selbständige Kirchengemeinde. Ihr folgte Schreibersdorf, wo Prinz Gustav
Biron von Curland zum Gedächtnis an seinen früh verstorbenen Sohn
Wilhelm die Prinz Wilhelm-Gedächtniskirche errichtete, ein Gotteshaus
von großer Schönheit, aus rotem Sandstein erbaut. In demselben Jahr
(1902) wurde die von Majoratsbesitzer Georg von Reinersdorff-Paczensky
und Tenczin erbaute Kirche in Ober-Stradam eingeweiht und damit auch
hier die Vorbedingung für eine eigene Kirchengemeinde geschaffen. Sie
wurde Neujahr 1905 errichtet und umfaßte etwa 700 Seelen. Sie wurde
pfarramtlich mit Groß Wartenberg verbunden, doch wurde in Ober-Stradam
ein ständiges Pfarrvikariat errichtet. 1900 erbaute der Majoratsbesitzer
Dr. Hans von Korn in Rudelsdorf eine Kirche. In ihr hielt der in
Ober-Stradam tätige Vikar alle 14 Tage Gottesdienst. Die Rudelsdorfer
Kirche gehörte aber nicht zur Kirchengemeinde Ober-Stradam, sondern zur
Kirchengemeinde Groß Wartenberg.
Die evangelische Kirchengemeinde Groß
Wartenberg besaß seit 1932 ein Gemeindehaus mit Saal, Kindergarten und
Schwesternwohnung. Die Diakonissenstation mit zwei Schwestern aus dem
Lehmgrubener Mutterhaus in Breslau wurde 1933/34 von der Kirchengemeinde
|
Evangelische Kirche in Ober-Stradam
|
übernommen; bis dahin war sie von der Freien Standesherrschaft
gemeinsam mit dem Roten Kreuz unterhalten worden. Auch in Ober-Stradam
und in Rudelsdorf war je eine Diakonissin tätig, ebenfalls aus
Lehmgruben. Diese beiden Stationen (mit Kindergarten) waren von den
Besitzern der Rittergüter begründet worden und wurden von ihnen
unterhalten.
Letzter Kirchenpatron und Besitzer der Schloßkirche in Groß Wartenberg
war Prinz Karl Biron von Curland.
Letzte Geistliche: Pastor Werner Seibt
und Pastor Christoph Bode (gefallen).
Letzter Kantor: Lehrer Karl
Waetzmann.
Letzte Besitzer der Kirche in Ober-Stradam: Majoratsbesitzer
Friedrich von Reinersdorff-Paczensky und Tenczin, seit 1. Juli 1944
Rittergutsbesitzer Peter von Reinersdorff-Paczensky und Tenezin.
Von den
letzten in Ober-Stradam tätigen Pfarrvikaren ist mir besonders
erinnerlich: Lic. Martin Peisker (in russischer Gefangenschaft
gestorben).
Letzter Kantor: Hauptlehrer Herbert Sämann.
Letzter Besitzer
der Kirche in Rudelsdorf: Rittergutsbesitzer Stanislaus von Korn.
Festenberg, zum Fürstentum Oels gehörig, wandte sich früh dem
evangelischen Glauben zu und wurde eine fast ganz evangelische Stadt.
1764 z. B. hatte sie 318 evangelische und 3 katholische Wirte. Die
größten Verdienste um die ganze Stadt und auch um die evangelische
Gemeinde erwarb sich die Herzogin Eleonore Charlotte von
Württemberg-Oels, die 1676 Festenberg käuflich erwarb und ihre Residenz
in das Festenberger Schloß verlegte. Sie stellte einen Bebauungsplan
auf, zog durch Gewährung von Vergünstigungen viele Einwohner in die
Stadt, schuf den Oberring mit den angrenzenden Straßen und erbaute eine
neue schöne in Kreuzform ausgeführte Kirche, die ebenfalls auf dem
Oberring errichtet wurde und den Namen "Zum Kripplein Christi" erhielt.
Nun hatte Festenberg zwei Kirchen. Denn schon längst stand auf dem
Platz, auf dem später die Kapelle errichtet wurde, ein Gotteshaus: die
Kirche "Zur heiligen Dreifaltigkeit", nun auch "die untere" genannt. Es
läßt sich nicht genau feststellen, wann diese Kirche erbaut worden ist.
Im Jahre 1727 kaufte der Graf Heinrich Leopold von Reichenbach die Freie
Standesherrschaft Goschütz, vergrößerte sodann seinen Besitz durch
einige zur Herrschaft Festenberg gehörige Güter und erwarb 1743 auch
Stadt und Gut Festenberg. Damit wurde die enge Verbindung geschaffen
zwischen der evangelischen Kirchengemeinde Festenberg und den Grafen von
Reichenbach, deren treuer Fürsorge sich die Gemeinde bis zuletzt
erfreuen durfte.
Die Stadt ist wiederholt von schweren Bränden
heimgesucht worden. Besonders verheerend war die Feuersbrunst vom 18.
April 1875, der neben vielen Bürgerhäusern auch das untere Pfarrhaus und
die Kirche auf dem Oberring zum Opfer fiel. Der Verlust dieser Kirche
wurde von der Gemeinde sehr schmerzlich empfunden, aber mit großem Eifer
und viel Opfersinn und mit Unterstützung vieler Gönner machte man sich
alsbald an den Aufbau, so daß am 4. Oktober 1877 die neue Kirche
eingeweiht werden konnte. Sie ist als Ziegelrohbau in Kreuzform erbaut
und gewährt mit ihrem über 60 m hohen Turm schon von ferne einen
stattlichen Anblick.
Bald darauf wurde die "untere Kirche", die im Laufe
vieler Jahre sehr reparaturbedürftig, ja zuletzt baufällig geworden war,
abgebrochen. Was aber von ihrem Material noch verwendbar war, wurde
nicht weggetan, sondern es wurde daraus eine Kapelle errichtet, und zwar
auf demselben Platz, auf dem die Kirche gestanden hatte. Dabei wurde das
künstlerisch sehr wertvolle Inventar aus der alten Kirche übernommen.
Dadurch wurde die Kapelle, wie man wohl gesagt hat, "ein Museum
erlesener alter Holzschnitzereien". Da war z. B. der reich geschnitzte
Altar mit dem großen überragenden Kruzifix, da waren die den Altarraum
abschließenden Apostelgestalten, da war der Kanzelaufgang und die Kanzel
selbst mit Darstellungen aus der Geschichte des Geschlechts derer von
Köckeritz, da waren alte Wappenschilder, Grabmäler usw. Immer wieder
ergriff die schlichte Schönheit dieser alten Schnitzereien jeden
Besucher aufs neue. Das kleine Gotteshaus erfreute sich daher auch des
Interesses und der Fürsorge des Provinzialkonservators der schlesischen
Kunstdenkmäler. - Von den heiligen Geräten, die in der Kapelle
aufbewahrt wurden, verdient ein aus dem Jahre 1729 stammendes silbernes
Taufbecken erwähnt zu werden, geschenkt von der "löblichen Bruderschaft
der Tuchknappen". Es trug die Inschrift "Durch dieses Gnadenbad schenkt
Gott das Himmelreich, er sei reich oder arm, jedwedem ist es gleich".
Zu
einer besonderen Bedeutung gelangte die Kapelle am Schluß des letzten
Krieges und in der Zeit danach, wo sie der klein gewordenen
evangelischen Gemeinde für ihre Gottesdienste und für andere kirchliche
Handlungen und Veranstaltungen diente, da ihr die Kirche nicht mehr zur
Verfügung stand.
Die Kapelle hatte nur eine Glocke, aber diese Glocke hat ein besonderes
Schicksal erfahren. Sie mußte während des letzten Krieges abgeliefert
werden, überdauerte aber den Krieg auf der Glockensammelstelle in
Hamburg. Von dort erhielt ich in Parensen Kreis Göttingen, wo ich von
1945 bis 1955 tätig war, die Anfrage, was mit der Glocke geschehen
solle. Da in Parensen eine Glocke fehlte, ließ ich die Kapellenglocke
dorthin kommen. Am 30. März 1952 wurde sie in einem feierlichen
Gottesdienst der Gemeinde als "Patenglocke" zu treuen Händen übergeben
(sie ist aber im Eigentum der evangelischen Gemeinde Festenberg
geblieben). Die Glocke hat folgende Inschrift "Anno 1655 nach Christi,
unseres Erlösers und Seligmachers Geburt hat der wohledelgeborene,
gestrenge, auch hochbenamte Sigemund von Köckeritz und Friedland auf
Festenberg, Groß-Sirchen, Linsen und Neudorf, Fürstlich Württemberg
Oelsnischer Rat, nebst dessen herzliebsten Ehegenossin, der
wohlgeborenen Frauen, Frauen Mariae Köckeritzin, geborenen Sauermann
Freyen von der Jeltsch, Frauen auf Festenberg - diese Glocke bereiten
und verfertigen lassen, treulichst wünschend, daß solche bei reinem
Gottesdienste zur Fortpflanzung dessen Ehre und des allein
seligmachenden Wortes bis zum lieben jüngsten Tage gebraucht werden
möge". Darunter steht das Wort Psalm 146, V. 1 und 2 "Lobe den Herrn,
meine Seele! Ich will den Herrn loben, solange ich lebe, und meinem Gott
lobsingen, solange ich hier bin". Ferner zeigt die Glocke das von
Köckeritz'sche Wappen und auf der anderen Seite die Inschrift "Sebastian
Götz goß mich zu Breslau".
Im Vergleich mit der Kapelle war an
Kunstschätzen in der Kirche auf dem Oberring nur wenig vorhanden, doch
hatte sie einige bemerkenswerte Erzeugnisse der Festenberger
Kunsttischlerei aufzuweisen, ferner einige gut erhaltene Bilder früherer
Geistlicher und einen kunstvoll gearbeiteten Hängeleuchter, der beim
Brande aus der alten Kirche gerettet worden war.
Im gottesdienstlichen
Leben hatte die Kirchengemeinde zwei Besonderheiten: das Montagfrühgebet
und die Himmelfahrtsfrühandacht. Das Montagfrühgebet fand im Sommer an
jedem Montag früh 7 Uhr in der Kapelle statt. Es wurde nach einer alten
besonderen Liturgie gehalten und erfreute sich immer eines guten
Besuchs. Die Himmelfahrtsandacht wurde am
|
Ev. Kirche in
Festenberg
|
Himmelfahrtsfest in aller Frühe auf dem dicht bei der Stadt gelegenen
Himmelfahrtsberg im Freien gehalten. Es fanden sich stets viele
Andächtige dazu ein (auch bei Regenwetter, der Berg war dann schwarz von
Regenschirmen!) Auch diese Andacht verlief nach einer besonderen alten
Liturgie.
Die Parochie Festenberg zählte zuletzt etwa 4400 Seelen. Außer
der Stadt gehörten zu ihr 10 Dörfer. Früher hatten noch 4 weitere Dörfer
dazugehört. Aber 1902 wurden sie der neugebildeten Kirchengemeinde
Brustawe (Eichensee) zugeteilt (Kreis Militsch, aber
Kirchenkreis Groß Wartenberg). Die Parochie Festenberg hatte teilweise
recht weite Entfernungen und schwierige Wegeverhältnisse, so daß die
Pastorierung nicht leicht war.
1941 wurde ein Teil der Pfarrscheune zu
einem Gemeindesaal umgebaut. Die Finanzierung war zum größten Teil der
Evangelischen Frauenhilfe Festenberg zu danken. Es erwies sich als ein
großer Segen für das kirchliche Leben, daß die Gemeinde nun einen
geeigneten (und schönen!) Raum für kirchliche Veranstaltungen aller Art
und für den kirchlichen Unterricht hatte. Von Januar bis März fanden
hier auch die Sonntagsgottesdienste statt, da der Saal im Unterschied
von Kirche und Kapelle gut heizbar war.
In der Kirchengemeinde befanden
sich zwei Diakonissenstationen mit je 2 Schwestern, eine in Festenberg
und eine in Groß-Schönwald. Die letztere war begründet und erbaut worden
und wurde unterhalten von der Diakonisse Gräfin Elisa von Reichenbach,
die dort bis in ihr hohes Alter in Segen tätig war. Die Schwestern
entstammten dem Elisabethdiakonissenhaus in Berlin, auf der Festenberger
Station später dem Diakonissenmutterhaus Kraschnitz. Die früher von der
Freien Standesherrschaft Goschütz unterhaltene Station war bis zuletzt
in einem dem Grafen Reichenbach gehörendem Hause in Festenberg
untergebracht.
Letzte Kirchenpatrone waren: von 1886 bis 1942 Graf
Heinrich von Reichenbach, von 1942 ab Graf Christoph von Reichenbach,
Freie Standesherren auf Goschütz.
Letzte Geistliche: Superintendent
Walter Blech und Pastor Joachim Ewald.
Letzter Kantor: Wolfgang Rodatz.
Goschütz
Die Festenberg nächstbenachbarte Kirchengemeinde war Goschütz. Die
beiden Kirchen waren nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Auch
sonst bestanden zwischen Festenberg und Goschütz nähere Beziehungen,
besonders, wie schon bemerkt, durch die Gräflich Reichenbach'sche
Familie.
Goschütz hatte schon vor 1600 eine überwiegend evangelische
Bevölkerung. Damals wurde auch in der katholischen Kirche durch viele
Jahre nur evangelischer Gottesdienst gehalten. Ein eigenes evangelisches
Gotteshaus hat nur kurze Zeit in Gestalt einer von den Herren von
Borschnitz um 1590 erbauten Begräbniskapelle bestanden. Dann kam auch
hier die Zeit des Verbots evangelischer Gottesdienste. Viele
evangelische Einwohner besuchten damals die vom Fürstentum Oels
geschützten evangelischen Gottesdienste im benachbarten Festenberg.
1727
wurde Graf Heinrich Leopold von Reichenbach Besitzer der Freien
Standesherrschaft. Nach der Besitznahme Schlesiens durch Preußen erhielt
er auf seinen Antrag von Friedrich dem Großen am 6. November 1741 die
Genehmigung zur Errichtung eines evangelischen Gotteshauses. Am 16.
September 1742 wurde durch den Schloßprediger Pechmann in den oberen
Räumen des Goschützer Schlosses der erste öffentliche evangelische
Gottesdienst gehalten. Am 23. April 1743 wurde der Grundstein zur
Schloßkirche gelegt. Der Bau, den Graf von Reichenbach ganz aus eigenen
Mitteln ausführen ließ, ging unter einigen Schwierigkeiten und
Verzögerungen vor sich, so daß erst am 30. August 1748 unter Sturm,
Regen und Lebensgefahr der Knopf an die Turmspitze aufgesetzt werden
konnte. Schon stand die Kirche dicht vor ihrer Vollendung, da zerstörte
am 4. Oktober 1749 eine große Feuersbrunst nicht nur einen Teil des
Dorfes, sondern auch das Goschützer Schloß mit fast allen Nebengebäuden.
Nur mit Mühe wurde die Kirche gerettet. Um die Gottesdienste nicht auf
längere Zeit zu unterbrechen, wurde nun, obwohl noch die Baugerüste
standen, am 12. Oktober 1749 die Einweihung der Schloßkirche gehalten,
wobei der damalige Schloßprediger Laurentius "gedenkend der Trümmer
ringsum die erste sehr bewegliche und betrübte Predigt hielt". Im
wesentlichen hat die Goschützer Schloßkirche ihre erste Gestalt bis
heute bewahrt. Auf dem kreuzförmigen Grundriß erhebt sich ein in einem
schönen, ganz reinen Barock ausgeführter Kuppelbau. Die beherrschende
Stellung nimmt im Kirchenraum die Kanzel ein, ein Zeichen für die
Sehnsucht jener Zeit nach der Verkündigung des göttlichen Worts. Den
Altar schmückt die Kopie eines in der Gemäldegalerie in Berlin
befindlichen Werkes, die Kreuzigung Christi darstellend. Ihm gegenüber,
unterhalb der Orgelempore, sind hinter eisernen Gittern die
Steinsarkophage des Grafen Heinrich Leopold, des "templi fundator"
(Kirchenerbauers), seiner Gemahlin und zweier Kinder
aufgebahrt. Neben der Kanzel hängt das schöne holzgeschnitzte
Totenschild-Epitaph von Graf Heinrich Leopolds Großvater, der 1660
starb.
Wie die meisten anderen Kirchspiele im Kreise Groß Wartenberg
hatte auch die Kirchengemeinde Goschütz eine weite Ausdehnung. Es
gehörten 13 Dörfer dazu mit zusammen etwa 2500 Seelen. In einem dieser
Dörfer, in Charlottenthal, wurde in der Schule 14tätig Gottesdienst
gehalten. Von fördernder Bedeutung für das Gemeindeleben wurde das von
der Gräfin Adelheid erbaute Pflegehaus und die damit verbundene
Einrichtung einer Diakonissenstation. Die Goschützer Schwestern
entstammten wie in Festenberg zuerst dem Berliner
Elisabeth-Diakonissenhaus, dann dem Diakonissenmutterhaus Kraschnitz.
Die Station wurde später von der Kirchengemeinde getragen.
Letzte
Besitzer der Schloßkirche waren: von 1886 bis 1942 Graf Heinrich von
Reichenbach, von 1942 ab Graf Christoph von Reichenbach, Freie
Standesherren auf Goschütz.
Letzter Schloßprediger: Pastor Manfred
Sondershaus.
Letzter Kantor: Diakon Herrmann.
Neumittelwalde
Der erste evangelische Geistliche wurde 1599 nach Neumittelwalde (damals
"Medzibor") berufen. Bald wurde die Anstellung eines zweiten notwendig,
weil sich die Evangelischen bis Groß Wartenberg und Schildberg zur
Kirche in Neumittelwalde (Fürstentum Oels!) hielten.
Als Gotteshaus
diente der Gemeinde zunächst eine 1493 erbaute hölzerne Kapelle. Als
diese zu klein wurde, baute man 1719 eine steinerne Kirche darüber, um
die Gottesdienste nicht ausfallen zu lassen. Nach Vollendung des Baues
trug man das Holz der alten Kapelle durch Türen und Fenster der neu
erbauten Kirche hinaus. Dieses Gotteshaus wurde 1836 durch Blitz und
Feuer bis auf den Grund zerstört. Man errichtete nun wieder ein neues,
das heute noch steht. Es ist in klassizistischem Stil erbaut (von
Schinkel im Plan korrigiert). 1928 wurde die Kirche außen und besonders
innen eindrucksvoll renoviert. Groß und alles beherrschend ist über
Altar und Kanzel das ewige Zeichen des Kreuzes sichtbar, umgeben von
einem Strahlenkranz und den Sinnbildern der vier Evangelisten.
|
Durchblick zur ev. Kirche in Neumittelwalde
|
Eine blaue Nische birgt den tiefer liegenden Taufstein. Zwei
lebensgroße Engel knien voll inniger Andacht am Eingang.
Den Mittelpunkt
des außergottesdienstlichen Gemeindelebens bildete das 1913 in der Stadt
erbaute Gemeindehaus. Ein schöner großer Saal gab die Möglichkeit zu
würdigen kirchlichen Veranstaltungen. In drei Zimmern waren Sieche und
Kranke wohl aufgehoben. Auch ein Kindergarten befand sich in diesem
Hause. Neben dem Gemeindehaus stand das Haus der
"Gemeinschaft innerhalb der Landeskirche". Ihre Leiter arbeiteten mit
dem Pfarramt gut zusammen. In der Stadt waren ständig drei Diakonissen
tätig; eine tat ihren Dienst im Gemeindehaus, besonders an den Kranken
und Siechen und im Kindergarten, die beiden anderen kümmerten sich um
die Kranken in der Gemeinde. Sie gehörten dem Mutterhaus Friedenshort
der Schwester Eva Gräfin von Tiele-Winkler ("Mutter Eva") in Miechowitz
(Oberschlesien) an. 1933 wurde auch in Bukowine (Buchenhain) ein
Gemeindehaus mit Kapelle, einem kleinen Altersheim und einer Wohnung für
eine Schwester, die als Gemeindeschwester tätig war, erbaut.
Zur
Kirchengemeinde gehörten außer der Stadt 13 Dörfer. Die Seelenzahl
betrug insgesamt 3700. Vor der Abtretung von 1920 gehörten noch weitere
3800 Seelen dazu.
Die Kirche ist unversehrt geblieben bis auf die
Turmspitze, die abgeschossen, aber wieder errichtet wurde. Die Kirche
dient jetzt polnisch evangelischen Gottesdiensten. Die beiden
Pfarrhäuser sind verbrannt, auch das Gemeindehaus.
Letzte
Kirchenpatrone: Baronin Agnes von Diergardt auf Mojawola in Suschen
(verstorben auf der Flucht in Sagan) und Herr von Klitzing in
Neumittelwalde.
Letzte Geistliche: Die Pastoren Joachim König, Wilfried
Hilbrig und Kurt Vogelweider (gestorben 1948 in Löbau in Sachsen nach
segensreicher Tätigkeit im dortigen Flüchtlingslager.
Letzter Kantor:
Karl Eisert (gestorben Ostern 1946 in Neumittelwalde, nachdem er dorthin
zurückgekehrt war und die Gemeinde nach Kräften versorgt hatte).
Schollendorf
Auch die Gemeinden Schollendorf und Görnsdorf wurden im 16.
Jahrhundert evangelisch. Da sie zur Freien Standesherrschaft Groß
Wartenberg gehörten, wurden auch sie von den bereits dargelegten
Maßnahmen des Burggrafen Abraham von Dohna betroffen. Seit dieser Zeit
hielten sich die Evangelischen der beiden Orte zur evangelischen Kirche
in Pontwitz, Kreis Oels. Görnsdorf wurde in diese Kirchengemeinde
eingepfarrt. Für Schollendorf und die im Kreise Oels gelegenen
benachbarten Orte Ostrowine (Werden) und Wilhelmsort wurde 1892 eine
eigene Kirchengemeinde Schollendorf errichtet. Sie zählte etwa 700
Seelen und wurde pfarramtlich mit Pontwitz verbunden. Diese Verbindung
blieb bis zuletzt. 1899 erbaute sich die Gemeinde mit Hilfe kirchlicher
Stellen und des Gustav-Adolf-Vereins eine eigene Kirche. Ein schmuckes
Kirchlein war da in das Grün des Waldfriedhofes hineingebaut, das durch
sein schlichtes Innere stimmungsvoll wirkte. Die Kirche hatte ein
kleines, aber sehr eindrucksvolles Altarbild, einen Christuskopf
darstellend, der so edle ernste und zugleich gütige Züge zeigte, daß
mich dieses Bild immer wieder ergriff, so oft ich als Pastor von
Pontwitz oder später als Superintendent des Kirchenkreises dort am Altar
stand. Soweit ich habe in Erfahrung bringen können, ist dieses Bild von
einem Fräulein von Rieben, der Tochter eines früheren Besitzers des
Rittergutes Schollendorf, gemalt worden.
Alle 14 Tage hielt der
Pontwitzer Pastor in Schollendorf Gottesdienst. Er vollzog dort auch
alle kirchlichen Amtshandlungen. Die Konfirmanden gingen zum Unterricht
nach Pontwitz und wurden dort mit den Pontwitzer Konfirmanden
eingesegnet. 1928 erwarb die Kirchengemeinde das alte Schulhaus, um es
zu einem Gemeindehaus umzuwandeln. Zu dem Kaufpreis von 6200 RM
spendeten der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin 4000 RM, die
Schlesische Provinzialsynode 1200 RM. Das Haus enthielt Räume für
kirchliche Veranstaltungen, für einen Kindergarten und für die
Schwesternstation. Trägerin dieser Station war die 1928 gegründete Ev.
Frauenhilfe Schollendorf. Letzter Geistlicher: Pastor Johannes Zobel in
Pontwitz.
In den Jahren 1930-31 wurde in Neurode Kreis Groß Wartenberg
eine kleine Kirche erbaut, die etwa 200 Gläubigen Platz bot. Wie schon
bemerkt, war der Ort durch die Grenzziehung von seiner alten
Kirchengemeinde Suschen getrennt worden. Er wurde nun zum Kirchenkreis
Militsch geschlagen und wurde von dem Geistlichen in Wildbahn Kr.
Militsch versorgt. Das blieb auch so, als Neurode eine eigene Kirche
erhielt. Das Land zum Kirchbau wurde von der Ortsgemeinde unentgeltlich
zur Verfügung gestellt, auch leistete sie die Hand- und Spanndienste. An
den Baukosten beteiligte sich der Gustav-Adolf-Verein. Der Altarraum der
Kirche und der Altar selbst waren in schlichter
Form gehalten. Anstelle eines Altarbildes grüßte die Gemeinde vom Altar
her ein großes Kreuz (erst nach 1945 erhielt die Kirche auch ein
Altarbild).
Im gesamten Kirchenkreis Groß Wartenberg ist 1945 nur eine
Kirche zerstört worden, die Kirche in Maliers (Malen) Kreis Oels.
Das kirchliche Leben
Das kirchliche Leben in den einzelnen Gemeinden durfte als gut und rege
bezeichnet werden. Das galt nicht nur von dem Besuch der Gottesdienste,
sondern auch von dem außergottesdienstlichen Gemeindeleben. Zahlreiche
kirchliche Vereine faßten bestimmte Kreise und Gruppen in den Gemeinden
zusammen und dienten damit dem Ganzen. Da sind die "Evangelischen
Frauenhilfen" zu nennen, die in allen Gemeinden blühten und zu einem
Kreisverband zusammengeschlossen waren. Sie wurden für manche
evangelische Frau so etwas wie eine innere Heimat, eine Heimat der
Seele. Da gab es auch Ev. Männervereine, zuletzt "Ev. Männerwerk"
genannt. In Groß Wartenberg bestand ein "Ev. Familienverein", der aus
dem schon 1869 gegründeten "Männer- und Jünglingsverein" hervorgegangen
war. Neumittelwalde und Groß Wartenberg hatten Evangel. Arbeitervereine.
Die Arbeit an der männlichen und weiblichen Jugend wurde mit Eifer und
Hingabe betrieben. Der Festenberger Verein für die evangelische
männliche Jugend hatte jahrelang über 100 Mitglieder! Den Vereinen für
die weibliche Jugend waren hier und da Nähstuben angeschlossen.
Alljährlich kam die Jugend des Kirchenkreises zu Kreisfesten zusammen.
Ich erinnere mich noch an ein besonders schönes und gelungenes Kreisfest
für die weibliche Jugend am Gräflich Reichenbach'schen Waldhaus.
Evangelische Elternbünde hielten bei den Gemeindegliedern, besonders bei
den Eltern, die Verantwortung wach für die evangelische Erziehung in
Schule, Kirche und Haus. Es gab einen Kreisverein für äußere Mission,
der alljährlich bald in dieser, bald in jener Gemeinde des
Kirchenkreises ein Kreismissionsfest veranstaltete, auf dem oft ein
Missionar, der vom Missionsfelde kam, von seiner Arbeit berichtete.
Dieser Kreisverein brachte z. B. im Jahre 1928 4021,93 RM für die
Heidenmission auf. In demselben Jahr ergaben
|
Festenberger
Posaunenchor um 1926
|
die monatlich für verschiedene kirchliche und mildtätige Zwecke
gesammelten Hauskollekten im Kirchenkreise 4645,90 RM, die in den
Gottesdiensten gesammelten Kirchenkollekten 5617,50 RM. Für den
Gustav-Adolf-Verein, der besonders in Groß Wartenberg und in
Neumittelwalde Mitglieder und Freunde hatte, wurden in diesem Jahr
1030,58 RM aufgebracht. Auch der Evangelische Bund hatte Mitglieder in
den Gemeinden, besonders in der Lehrerschaft. In das Gebiet der Inneren
Mission gehörten die schon bei den einzelnen Gemeinden erwähnten
Diakonissenstationen. Aber auch des Herbergsvereins darf gedacht werden,
wie er in Festenberg und in Groß Wartenberg bestand zur Unterhaltung
einer "Herberge zur Heimat" für durchreisende Wanderer. - Die
Kirchenmusik fand bei tüchtigen Kantoren gute Pflege. Wie sehr trugen
die Kirchenchöre zur Bereicherung des gottesdienstlichen Lebens bei!
Wie gern sangen unsere Gemeinden! Silesia
cantat - "Schlesien singt" - dieses alte Wort traf auch auf die
evangelische Kirche im Kreise Groß Wartenberg zu. Manch schöner und
wertvoller alt-evangelischer Choral, den man anderwärts gar nicht mehr
kannte, war hier noch lebendiger Besitz der Gemeinden. Eine große
Bereicherung stellten für das gottesdienstliche außergottesdienstliche
Gemeindeleben die Posaunenchöre dar. Wie sehr hat doch z. B. unser
Festenberger Posaunenchor zur Erbauung der Gemeindeglieder in festlichen
Gottesdiensten oder bei anderen kirchlichen Veranstaltungen beigetragen!
Wie wurde daher seine Mitwirkung immer wieder begehrt und mit großem
Dank aufgenommen! Wie freuten sich die Alten der Gemeinde, wenn ihnen
der Posaunenchor zum 70. oder 80. Geburtstag ein Ständchen brachte! -
Kirchliche Sonntagsblätter wurden in allen Gemeinden gelesen, besonders
das für die ganze Kirchenprovinz Schlesien bestimmte Blatt "Unsere
Kirche". - Ein
|
Generalkirchenvisitation in Groß Wartenberg, Zug zur
Kirche (1929)
|
besonderer Segen ruhte - diesen Eindruck hatte ich wenigstens oft - auf
den abendlichen Bibelstunden, die im Winter in den Dörfern gehalten
wurden, lange Zeit in den Schulen und, als das nicht mehr sein durfte,
bei irgendeinem freundlichen Gemeindeglied, das eine Stube dafür zur
Verfügung stellte. In der Stadt fand meist im Spätherbst Abend für Abend
eine ganze Bibelwoche statt. Besonders eifrig wurde diese Arbeit wohl in
Neumittelwalde betrieben, da Pastor König sich dafür besonders
einsetzte. Während des Krieges waren fast alle Pastoren des
Kirchenkreises zur Wehrmacht einberufen. Es muß da mit besonderer
Dankbarkeit und Anerkennung der Pfarrfrauen gedacht werden, die sich in
der Abwesenheit ihrer Männer mit großer Aufopferung für die
Aufrechterhaltung des kirchlichen Lebens einsetzten, insbesondere durch
Abhaltung von Lesegottesdiensten und Bibelstunden, durch Vertretung
einberufener Organisten, Weiterführung der kirchlichen Vereinsarbeit
usw. Als ich einmal einem Konsistorialrat vom Breslauer Konsistorium
sagte, ich könne kaum noch einen Pfarrkonvent halten, da außer mir im
ganzen Kirchenkreise nur noch ein Pastor vorhanden sei, erwiderte er:
"Aber Sie haben doch noch die Pfarrfrauen!"
Wenn vom kirchlichen Leben die Rede ist, muß noch eines besonderen
Ereignisses gedacht werden, das den ganzen Kirchenkreis umfaßte:
der Generalkirchenvisitation Ende April und Anfang Mai 1929. Die ganze
Bevölkerung, nicht nur die evangelische, nahm an diesem großen und
seltenen Ereignis lebhaften Anteil. (Die letzte Generalkirchenvisitation
hatte im Kirchenkreise Groß Wartenberg 1883 stattgefunden!) Die
Visitation nahm ihren Ausgang von Festenberg, dem Sitz der
Superintendentur. In dem schönen Sitzungssaal des Festenberger
Rathauses, in dem sich alle Geistlichen des gesamten Kirchenkreises und
die Mitglieder des Kreissynodalvorstandes versammelt hatten, begrüßte in
Vertretung des an diesem Tage verhinderten Landrats Majoratsbesitzer Dr.
von Korn auf Rudelsdorf den Herrn Generalsuperintendenten, späteren
Bischof D. Zänker, unter dessen Leitung die Visitation stand, und die
Visitationskommission im Namen des Kreises Groß Wartenberg. Die Stadt -
nicht nur die Behörden, sondern auch die Bürgerhäuser - hatten reich
geflaggt. Die städtischen Dienststellen blieben an diesem Tage
geschlossen. Dann bereiste die Visitationskommission etwa 14 Tage lang
alle Gemeinden, und in allen erlebten wir schöne und gesegnete Stunden.
Die Aufnahme in den Gemeinden, besonders auch in den Pfarrhäusern und in
den Gutshäusern, war überaus herzlich. Graf Heinrich von Reichenbach gab
für den Herrn Generalsuperintendenten, die Mitglieder der Kommission und
andere geladene Gäste einen festlichen Abend im Goschützer Schloß.
Unvergessen sind mir auch die tief empfundenen, von christlichem Geist
erfüllten Begrüßungsworte geblieben, mit denen uns unser Landrat Detlev
von Reinersdorff in seinem Hause in Ober-Stradam willkommen hieß. In
einzelnen Gemeinden verliehen Illuminationen, Fackelzüge und dergl. der
Veranstaltung das Ausmaß eines großen christlichen Volksfestes, wie es
diese Orte seit Jahre nicht erlebt hatten. Im Mittelpunkt der Visitation
stand in jeder Gemeinde natürlich ein feierlicher Gottesdienst mit
Predigt des Ortsgeistlichen und Ansprache des Herrn
Generalsuperintendenten. Im übrigen traten alle wichtigen Gebiete
kirchlicher Arbeit in Erscheinung, sei es auf Kreisfesten oder auf
Familienabenden in den einzelnen Gemeinden. Zum Schluß fanden noch
einige besondere Tagungen für den ganzen Kirchenkreis statt: eine mit
einer gemeinsamen Abendmahlsfeier eingeleitete Religionslehrerkonferenz
in Festenberg, ein Schwesterntag in Groß-Schönwald und eine Versammlung
der landeskirchlichen Gemeinschaften in der Festenberger Kapelle.
|
Neumittelwalder Jungmädchengruppe am 15.6.1930
|
|
Neumittelwalder Jungmädchengruppe mit Pastor Steinhäuser
|
Die kirchliche Ordnung war in unseren Gemeinden fest gegründet Es kam
nur ganz vereinzelt vor, daß ein Kindlein nicht zur Taufe gebracht, ein
Junge oder ein Mädchen nicht konfirmiert, ein Brautpaar nicht kirchlich
getraut, ein verstorbenes Gemeindeglied nicht kirchlich beerdigt wurde.
Nicht mehr überall, aber doch noch hier und da rankten sich um diese
kirchlichen Handlungen allerlei alte Sitten und Gebräuche. Bei der Taufe
wurde der Täufling um den Altar getragen und dreimal gegen den Altar
geneigt. Wenn das Kind ein Jahr alt war, wurde es nochmals in die Kirche
gebracht. Die Wöchnerin machte ihren ersten Ausgang nach der Geburt des
Kindes in die Kirche und wurde dort nach der Beendigung der Taufhandlung
eingesegnet. Die Konfirmanden gingen in feierlichem Zuge, die Jungen mit
Myrtensträußchen, die Mädchen mit Myrtenkränzchen geschmückt, unter
Glockengeläut zur Kirche, in manchen Orten wie in Festenberg vom
Posaunenchor geleitet. Als Hochzeitstag war besonders der Sonnabend
beliebt, doch hielt ein Teil der bäuerlichen Bevölkerung am Dienstag,
dem dritten Tag der Woche, fest, weil nach Ev. Joh. Kap. 2 V. 1 die
Hochzeit zu
|
Festenberg, ev. Kapelle
|
Kana "am dritten Tage" stattgefunden hat. Am Sonntag nach der Trauung
unternahm das neuvermählte Paar seinen ersten gemeinsamen Gang zum
Gottesdienst. Bei goldenen Hochzeiten wurde das Jubelpaar in der Kirche
oder zu Hause eingesegnet. Starb ein Gemeindeglied, so wurde
"ausgeläutet", meist zur Mittagszeit, weil da alle zu Hause waren.
Sodann wurde "zur Bei-Grabe" gebeten, d. h. im Auftrag der
Hinterbliebenen ging ein Bote von Haus zu Haus, machte von dem Todesfall
Mitteilung und bat um Teilnahme an der Beerdigung. Der Tote wurde im
Hause aufgebahrt, auf dem Lande aber auch sehr oft im Hofe. Dort fand
sich fast die ganze Gemeinde ein,
alle mit Gesangbüchern, denn es wurde dabei viel gesungen, manchmal zwei
lange Sterbe- und Begräbnislieder hintereinander. Wenn sich der
Leichenzug in Bewegung setzte, wurde der Sarg von den Trägern dreimal
angehoben, ehe sie ihn aufnahmen. War ein Junggesell oder eine Jungfrau
gestorben, so wurde der Sarg von Junggesellen getragen. Junge Mädchen
gingen zu beiden Seiten des Sarges mit einer Girlande in den Händen. Dem
Sarge vorangetragen wurde ein weißseidenes mit einem Myrtenstrauß oder
einem Myrtenkranz geschmücktes Kissen. Nach der Feier am Grabe wurde die
Girlande um das Grab gelegt, die Myrten wurden ins Grab geworfen. Auf
den Dörfern war es Sitte, daß der Pastor nach der Beendigung der Feier
auf dem Friedhof im Namen der Hinterbliebenen allen dankte, die dem
Heimgegangen im Leben und in seiner letzten Krankheit Gutes erwiesen
oder die ihn zu seinem Grabe geleitet hatten. In einem Dorf, das zur
Hälfte evangelisch und zur Hälfte katholisch war, wurde besonderer Wert
darauf gelegt, daß der Pastor den Gemeindegliedern "beider Konfessionen"
den Dank für das Grabgeleit aussprach. Ein Jahr nach dem Tode wurde im
Sonntagsgottesdienst bei brennenden Kerzen und Glockengeläut für den
Verstorbenen ein Gedächtnislied aus dem Gesangbuch gesungen.
|
St.-Trinitatis-Kirche in Distelwitz
|
Die
Friedhöfe wurden von unseren Gemeinden in guter Ordnung und in Ehren
gehalten. Sie wurden oft und gern besucht. Für manche war der Weg zum
Friedhof der einzige Sonntagsspaziergang. Der Friedhof war so recht
eigentlich der öffentliche Garten der Gemeinde. Am Totenfest wurden in
manchen Gemeinden besondere Friedhofsandachten gehalten. In Festenberg
fanden sie in der Friedhofskapelle statt, wobei so viele
Gemeindeglieder kamen, daß sie kaum Platz hatten.
Zu jedem Kirchenkreis gehört die Kreissynode.Die Groß Wartenberger
Kreissynode tagte alljährlich Ende Juni oder Anfang Juni, zwischen der
Heu- und der Getreideernte, im Saal der Brauerei Hübner in Festenberg,
nachdem ein Gottesdienst in der Kirche vorangegangen war. Mancherlei
fruchtbare Anregungen sind für das kirchliche Leben und die kirchliche
Arbeit in den einzelnen Gemeinden von der Synode ausgegangen; zugleich
wurde der Blick immer wieder auf das Ganze der Kirche gelenkt.
Der
Kirchenkampf in der nationalsozialistischen Zeit ist auch am
Kirchenkreis Groß Wartenberg nicht vorübergegangen. Er hat für Pastoren
und Gemeindeglieder viel Schweres gebracht; er hat aber auch sehr zur
Festigung der Gemeinden beigetragen. Vielfach schlossen sich die
kirchentreuen Kreise zur Bekennenden Kirche zusammen, so in Festenberg
mit 300, in Neumittelwalde mit 450 Mitgliedern, in Groß Wartenberg und
in anderen Gemeinden. Wie in der ganzen Geschichte der christlichen
Kirche hat es sich auch hier wieder gezeigt, daß Zeiten großer
Bedrängnis für die Kirche immer auch Zeiten großen Segens sind.
|
Abendmahlsgerät aus Ober-Stradam
|
Letzter deutscher evangelischer Seelsorger im Kreise Groß Wartenberg war
der frühere Festenberger Vikar Pastor Jörg Gottschick. Er hatte im
"alten Zollhaus" in Groß-Graben eine Wohnung gefunden und versorgte von
dort aus fast den ganzen Kirchenkreis. Einige an der Grenze des
Kirchenkreises in Richtung Oels und Bernstadt gelegene Orte wurden von
Pastor von Lieres in Allerheiligen Kreis Oels betreut. Aus einem
Bericht, den mir Pastor Gottschick im Juli 1946 über die kirchlichen
Verhältnisse in meinem alten Kirchenkreise erstattete, geht hervor, wie
schwierig der seelsorgerliche Dienst in dem großen Gebiet und unter den
obwaltenden Umständen war und wieviel Aufopferung er erforderte. Der
Bericht zeigt aber auch, mit welcher Dankbarkeit und Willigkeit unsere
damals noch in der Heimat zurückgebliebenen oder zunächst wieder dahin
zurückgekehrten Volks- und Glaubensgenossen in der Lage, in der sie sich
befanden, ihre Herzen dem Trost des Evangeliums öffneten. überall in den
klein gewordenen Gemeinden und Gemeindlein fand Pastor Gottschick treue
Helfer, bis auch dieser Dienst ein Ende nahm.
Das war die evangelische
Kirche im Kreise Groß Wartenberg. Was ist davon geblieben? Nur eine
wehmütige Erinnerung? Nein, sondern der Same des göttlichen Wortes, der
durch Jahrhunderte so reichlich in die Herzen gestreut werden konnte,
lebt und wirkt weiter bei allen, die mit der Heimat auch ihre
Heimatkirche nicht vergessen können und wollen.
"Alles vergehet - Gott aber stehet ohn alles Wanken".
(Paul Gerhardt)
Die geschichtlichen Angaben des vorstehenden Kapitels sind in der
Hauptsache dem Buch entnommen: "Der evangelische Kirchenkreis Groß
Wartenberg in Vergangenheit und Gegenwart", Festschrift zu der
Generalkirchenvisitation 1929, besorgt von Pastor Konrad Köhler in
Briese Kreis Oels (inzwischen verstorben).
Impressum
/ Rolf's Email
/ Rolf's Homepage
/ Kreis Groß Wartenberg
/ Buch Inhalt