Einige notwendige Vorbemerkungen!

Es ist ein schwieriges Unterfangen nach mehr als 20 Jahren das Bild des schlesischen Grenzkreises Groß Wartenberg aufzuzeichnen. Damit wird der Versuch gemacht, für spätere Generationen festzuhalten wie sich dieser schlesische Kreis etwa zum Zeitpunkt des Beginns des Zweiten Weltkrieges (1937/39) darbot. Die deutsche Vergangenheit sollte nicht dem Vergessenwerden verfallen. Die Vorarbeiten für dieses Buch sind schon vor mehr als 10 Jahren geleistet worden. Damals lag die Koordinierung der Arbeit in den Händen des verstorbenen Stanislaus von Korn, der diese Arbeit auf Wunsch des langjährigen Landrats des Kreises Groß Wartenberg Detlev von Reinersdorff in Angriff nahm. Ein Teil der Verfasser der einzelnen Aufsätze ist in der Zwischenzeit gestorben, wie aus dem Verzeichnis der Autoren zu ersehen ist. Es konnte also nun nicht mehr länger gewartet werden, wenn man nicht übersehen wollte, daß in absehbarer Zeit auch die letzten Wissensträger sterben werden. Hier soll nun erwähnt sein, daß leider auch der aus dem Kreis Groß Wartenberg gebürtige Professor Dr. Herbert Schlenger, zuletzt Kiel, dessen Name als Kenner der gesamtschlesischen und ostdeutschen Verhältnisse überhaupt in der Wissenschaft einen guten Klang hatte, sehr früh gestorben ist. Auf seine Arbeiten gehen aber auch Teile dieses Buches zurück bzw. basieren auf Veröffentlichungen aus seiner Feder. Das Buch ist ein Erinnerungsbuch. Es soll keine einseitige Tendenz aufweisen und einen möglichst hohen Wahrheitsgehalt haben. An manchen Stellen mußten aber Tatsachen angesprochen werden, die zwar nicht überall ungeteilten Beifall finden, diese Tatsachen aber zu verheimlichen und zu beschönigen, hieße die Unwahrheit sagen. Das Buch würde dann seiner Aufgabe nicht gerecht werden. Wenn dem Inhalt der Abdruck des Textes der Charta der Heimatvertriebenen vorangestellt ist, soll hervorgehoben sein und werden, daß auch die früheren Bewohner dieses einstmals deutschen Grenzkreises die Charta der Heimatvertriebenen voll akzeptieren. Ohne revanchistische Hintergedanken sei vermerkt, daß heute im Kreis Groß Wartenberg und in Schlesien Polen wohnen. Die Zeit und die Geschichte wird lehren, ob das für den Bereich unserer Heimat Schlesien der Endzustand ist. Damit aber der Leser in späteren Jahren eine Gedankenstütze erhält, was es mit "Schlesien" und seiner Stellung "in der deutschen und europäischen Geschichte" auf sich hat, sollen diese Vorbemerkungen schließlich mit der auszugsweisen Wiedergabe der unter diesem Titel erschienenen Kurzfassung der geschichtlichen Daten, von Professor Dr. Josef Joachim Menzel (herausgegeben von der Landsmannschaft Schlesien, Bonn, 1973), die uns als nützlicher Rückblick und zum Verständnis der gesamtschlesischen Situation notwendig erscheint. Schlesien - so beginnt Prof. Menzel seine Abhandlung - das ist geographisch das Stromgebiet der oberen und mittleren Oder mit ihren vielen Nebenflüssen zwischen Sudeten und Polnischem Jura, Beskiden und Spreewald, nimmt im östlichen kontinentalen Mitteleuropa eine Mittellage ein. Es liegt etwa im Schnittpunkt der Süd-Nord-Verbindung von der nördlichen Adria zur preußisch-baltischen Ostseeküste und der West-Ost Achse von der niederländischen Nordseeküste zum Schwarzen Meer. Beiden Liniensystemen entsprechen, fußend auf den natürlichen Gegebenheiten, alte geschichtliche und vorgeschichtliche Handelsstraßen, Wanderwege von Menschen und Kultur, politische Einflüsse. Am Breslauer Oderübergang kreuzten sich seit der Frühzeit - die vielgenannte Bernsteinstraße und die später sogenannte Hohe Straße: an dieser strategisch wie wirtschaftlich wichtigen Stelle entstand als politisches, dynastisches, kirchliches und kulturelles Zentrum des schlesischen Oderlandes die Stadt Breslau . . .
Das Land an der oberen und mittleren Oder hat seinen Namen von den Silingen, einem Teilstamm der germanischen Wandalen. Sie kamen aus dem skandinavischen Norden und siedelten von etwa 100 v. Chr. bis 400 n. Chr. um ihr Heiligtum auf dem Zobten, dem Silingberg, wie er noch in Quellen des 13. Jahrhunderts heißt. An diese Silingen erinnern auch der Silingfluß, das ist die Lohe, die am Zobten vorbeifließt, und der Silinggau, der später von den Slensanen, den Silinggaubewohnern, eingenommen wurde. In der Völkerwanderung zogen die Silingen zum größten Teil mit den Wandalen - aus unbekannten Gründen nach Westen ab. Sie gingen 406/7 bei Mainz über den Rhein und gelangten über Frankreich und Spanien nach Nordafrika, wo ihr Reich 533/37 zerstört wurde ...
In die in Schlesien durch den Abzug der Silingen freigewordenen Wohnsitze sickerten im 6. und 7. Jahrhundert von Osten her Slawen, aus ihrer Urheimat im Dnjepr-Pripjet-Gebiet kommend, in kleinen Gruppen ein. Sie übernahmen mit dem Land auch die Landesbezeichnung, denn das lateinische Wort Silesia der Geschichtsquellen, der deutsche Name Schlesien, das polnische Slask und das tschechische Slazsko bedeuten nichts anderes als "Silingenland" ...
Auf der anderen Seite waren auch die Slawen keine Ureinwohner, keine Autochthonen Schlesiens, wie ... gerne ... behauptet wird, sondern Zuwanderer wie 600 Jahre vor ihnen die germanischen Silingen und 600 Jahre nach ihnen die mittelalterlichen Deutschen. Im 9. Jahrhundert siedelten in Schlesien - ohne daß wir näheres wüßten - mehrere slawische Kleinstämme ...
Sie gerieten im 10. Jahrhundert zum überwiegenden Teil in böhmische Abhängigkeit: der tschechische Premyslidenfürst Wratislaw I. (894-921) gründete die Burg Breslau und gab ihr den Namen "Wratislawia", der dann auf die später entstehende Stadt überging: das lateinische "Wratislawia" wurde in deutschem Munde zu Breslau. ... Von bzw. über Böhmen erhielt Schlesien in der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts das Christentum. Wenig später, im Jahre 1000, wurde unter Mitwirkung Kaiser Otto III. das Bistum Breslau für den schlesischen Raum gegründet, nachdem das Land kurz zuvor (um 990) durch kriegerische Eroberung zeitweise an den Staat der polnischen Piasten angeschlossen worden war. Es blieb jedoch weiterhin zwischen Böhmen und Polen umstritten und wechselte mehrfach die Herrschaft. Im Verlaufe der besser überschaubaren Geschichte der folgenden 1000 Jahre bis zur Gegenwart konnte Schlesien nur etwa ein Jahrhundert lang eine relative politische Selbständigkeit inmitten seiner mächtigeren Nachbarn im Westen und Osten, Norden und Süden behaupten. In den übrigen neun Jahrhunderten war es regelmäßig ihre begehrte Beute und dem jeweils stärksten als in unterschiedlichem Grade abhängiges Teilgebiet angegliedert. Infolge dynastischer Zersplitterung im Innern zu schwach, um einen eigenen Weg zu gehen, auf Grund seiner geographischen Lage und seines Gesamtpotentials aber zu bedeutsam, um ohne Einfluß auf das Kräfteverhältnis der miteinander rivalisierenden Anrainer zu sein, ist Schlesien wiederholt zu einem wichtigen Faktor, ja geradezu zu einem "Schiebegewicht" in der Machtkonstellation des ostmitteleuropäischen Raumes mit Rückwirkungen auf ganz Europa geworden.
Der gleichzeitig Veränderungen in der allgemeinen politischen Situation anzeigende Herrschaftswechsel in Schlesien erfolgte in einem auffälligen Zyklus von annähernd 200 Jahren. In der e r s t e n, vom Ende des 10. bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts reichenden Periode bildete das Oderland einen Zankapfel zwischen Böhmen und Polen. Es befand sich kraft militärischer Eroberung bald in der Hand des einen, bald des anderen. Die Bevölkerung war damals slawisch, aber weder tschechisch noch polnisch. Dieser Abschnitt endete mit dem Glatzer Pfingstfrieden 1137, der Schlesien zum größten Teil bei Polen, und nur die Grafschaft Glatz, Leobschütz, Jägerndorf und Troppau mit Umgebung bei Böhmen beließ. Die nun beginnende z w e i t e Periode innerhalb des polnischen Staatsverbandes von 1137 bis 1335 war zugleich die der größten politischen Selbständigkeit und entscheidender innerer Veränderungen des Oderlandes. Bereits 1138 wurde es beim Tode des Polenherzogs Boleslaw III. durch Erbteilung zu einem piastischen Teilfürstentum erhoben, dessen Zugehörigkeit zu Polen sich~zunehmend lockerte. Wenige Jahre nach Amtsantritt wurde der erste schlesische Herzog aus dem Piastenhause, Wladislaw, von seinen Brüdern vertrieben (1146). Er flüchtete mit seiner Familie zu seinem Schwager Kaiser Konrad III. ins deutsche Reich. 1163 kehrten die Söhne Wladislaws nach 17jährigem Exil in Deutschland mit Unterstützung Kaiser Friedrich Barbarossas in ihre väterliche schlesische Herrschaft zurück. Sie lehnten sich fortan nicht nur politisch an das Reich an und heirateten deutsche Frauen, sondern nahmen auch ihnen ergebene deutsche Ritter und Mönche, denen Kaufleute, Handwerker und Bauern folgten, als Helfer mit in ihr Land. Mit Hilfe in großer Zahl herbeigerufener deutscher Siedler wie einheimischen Slawen und der Organisationsform des deutschen Rechtes wurde das nur dünn besiedelte, kaum erschlossene Oderland im Laufe des 13. Jahrhunderts gerodet und kultiviert, fruchtbar und volkreich gemacht. Neben zahllosen Kirchen und Klöstern entstanden bis zum Ausgang des 14. Jahrhunderts mehr als 130 Städte und 1200 Dörfer deutschen Rechtes. Aus eingesessenen Slawen und eingewanderten Deutschen, die gemeinsam unter vorteilhaftem deutschen Dorfsiedel- oder deutschem Stadtrecht lebten, entwickelte sich in friedlichem Miteinander allmählich der ostdeutsche Neustamm der Schlesier. Das wirtschaftlich und kulturell durch unermüdliche Arbeit und Leistung seiner Menschen aufblühende Schlesien überflügelte zu Beginn des 14. Jahrhunderts nicht nur alle Teilgebiete des benachbarten Polen, sondern trennte sich - innerlich längst deutsch geworden - von Polen auch staatsrechtlich im Vertrag von Trentschin 1335.
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts war es den energischen Herzögen Heinrich I., dem Gemahl der hl. Hedwig und ihrem Sohn Heinrich II. für kurze Zeit gelungen, ein politisches schlesisches Kraftzentrum aufzubauen, das weite Teile Polens, der Lausitz und der angrenzenden Gebiete oderabwärts an sich zog. Mit dem jähen Tode Heinrichs II. auf der Wahlstatt bei Liegnitz im Kampf gegen die Mongolen 1241 brach das machtvoll aufstrebende "schlesische Reich" unter seinen unmündigen Söhnen zusammen und zerfiel durch fortwährende Teilungen in eine Vielzahl kleiner und kleinster Teilfürstentümer. Da es im ebenfalls zersplitterten Polen an einer bestimmenden Zentralgewalt fehlte, begann Böhmen in das an seiner Ostflanke entstehende Vakuum einzudringen. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts unterstellten sich die schlesischen Piasten schutzsuchend einer nach dem anderen der böhmischen Oberhoheit der Premysliden bzw. nach ihrem Aussterben der Luxemburger und schieden so mit ihren weithin eingedeutschten Territorien aus dem Verbande Polens aus. Im Vertrage von Trentschin 1335 wurde diese Entwicklung vom polnischen König Kasimir III. in aller Form anerkannt. Er erklärte sich für sich, seine Erben, Miterben und Nachfolger urkundlich unter Eid, Berührung der heiligen Evangelien und automatischem Verfall der Exkommunikation bei Zuwiderhandlung, daß er keinerlei Ansprüche auf Schlesien habe noch jemals in Zukunft erheben werde. Schlesien war damit seit dem 13. Jahrhundert nicht nur ein in friedlichem und rechtlichem Prozeß deutsch besiedeltes und kulturell deutsch geprägtes Land geworden, sondern gehörte auch seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts als böhmisches Nebenland staatsrechtlich zum deutschen Reich. 1348 wurde es von Karl IV. als deutscher König, 1355 als römischer Kaiser, feierlich in die Krone Böhmens inkorporiert. Die Krone Böhmen aber war bis 1806 Bestandteil des deutschen Reichs, der König von Böhmen deutscher Kurfürst.
In der d r i t t e n, der böhmischen Periode von 1335 bis 1526, konnte Schlesien zunächst im 14. Jahrhundert unter der sicheren Regierung der Luxemburger seine Aufwärtsentwicklung, seine wachsende wirtschaftliche und kulturelle Blüte ungestört fortsetzen. Ein spürbarer Rückschlag setzte erst im 15. Jahrhundert mit den Hussitenkriegen und den böhmischen Thronstreitigkeiten ein. 1420 wurde in Breslau als Ausdruck der Reichszugehörigkeit von Kaiser Sigismund ein Reichtsag abgehalten, der das Oderland in der Rolle eines Hauptwiderstandszentrums gegen die reichs- und kirchenfeindlichen Hussiten bestätigte und bestärkte. Die folgenden beiden Jahrzehnte waren ganz von den Hussitenkämpfen erfüllt und sahen bald verheerende hussitische Einfälle in Schlesien, bald Schlesier kämpfend in Böhmen. Auch die anschließenden langen Regierungswirren in Prag ließen das ausgeblutete schlesische Land nicht zur Ruhe kommen. Ganz im Gegenteil: jetzt schaltete sich der Nachbar im Süden, Ungarn, ein. Seinem energischen König Matthias Corvinus gelang es, Mähren, Schlesien und die Lausitz zu erobern (1469), sie verwaltungsmäßig zu zentralisieren und bis zu seinem Tode (1490) als ungarische Nebenländer zu behaupten. Die Landbrücke zu Schlesien stellte dabei die Slowakei her, die 1000 Jahre lang, bis 1918, zu Ungarn und nicht wie heute zu Böhmen-Mähren gehörte.
Das 16. Jahrhundert brachte den Beginn der v i e r t e n, der österreichischen Periode der schlesischen Geschichte. 1526 erbten die Habsburger sowohl die ungarische wie die böhmische Königskrone und damit auch die Herrschaft über Schlesien. Seine politische, kulturelle und wirtschaftliche Ausrichtung nach Süden in den Donauraum blieb also weiterhin erhalten, der eigentliche politische und kulturelle Bezugspunkt aber verlagerte sich nun von Prag bzw. Budapest in die große Kaiserstadt Wien. Die österreichische Zeit Schlesiens dauerte rund 220 Jahre, von 1526 bis 1742/63, und war damit rund 20 Jahre länger als die nachfolgende Zugehörigkeit Schlesiens zu Preußen. Sie hat dem Lande entscheidende Züge aufgeprägt. In der Konfessionsfrage zum Beispiel. Luthers Reformation hat in Schlesien früh Fuß gefaßt und sich rasch über das ganze Land ausgebreitet. Am Ausgang des 16. Jahrhunderts dürften schätzungsweise neun Zehntel der Schlesier dem Luthertum, das sich allerdings anfänglich in seinen äußeren Formen nur unscharf von der alten Kirche abhob, zugeneigt haben. Da die Wittenberger Reformation (auch deutsche Religion genannt, Wittenberg galt als deutsches Rom) im Osten vorwiegend von der deutschen Bevölkerung angenommen wurde, ist dies ein deutlicher Hinweis auf den damals deutschen Charakter der schlesischen Bevölkerung. Erst im 17. Jahrhundert gelang es der erneuerten katholischen Kirche in der sogenannten Gegenreformation mit Unterstützung des habsburgischen Staates die Abfallbewegung aufzufangen und den kleineren Teil der Gläubigen sowie zahlreiche verlorengegangene Kirchen und Klöster zurückzugewinnen oder wiederzuerrichten. Dabei wurden nicht immer nur missionarische, pastoralseelsorgerische überzeugungsmethoden angewendet, sondern hier und da auch mit Verlockungen,ja selbst mit mehr oder minder starkem Druck, der bis zur Flucht und Auswanderung führen konnte, gearbeitet. Hatten in der Anfangsphase der Reformation der katholische Klerus, die Ordensgeistlichkeit und der katholisch bleibende Bevölkerungsteil Benachteiligungen und Bedrückungen zu erleiden, so waren es später die Evangelischen, die infolge des reichsrechtlich festgelegten Grundsatzes "Cuius regio, eius religio" (= Der Landsherr bestimmt die Religion seiner Untertanen) in ihrer freien Religionsausübung behindert wurden. Als sich die Schweden dann ihrer schlesischen Religionsverwandten annahmen und ins habsburgisch-kaiserliche Schlesien mit ihren Truppen eindrangen, trugen sie damit den großen 30jährigen europäischen Macht- und Religionskonflikt in das Oderland. Er suchte es schwer heim und dezimierte die Bevölkerung grausam. Die Katholiken lernten. die siegreichen Schweden, die Protestanten das Kriegsglück der Kaiserlichen fürchten. Das von beiden kriegsführenden Parteien unterschiedslos ausgeplünderte Land, das nach alter Gewohnheit den Krieg ernähren mußte, litt in jedem Falle und immer.
Die vielfältigen Spannungen, Unsicherheiten, Widersprüche und beklagenswerten Leiden der Zeit gerieten aber nicht nur zum Unheil: sie bewirkten eine tiefe Verinnerlichung und Vergeistigung, die in der Hochblüte der schlesischen Mystik und Barockdichtung ihren sichtbaren Ausdruck fand. Mit klangvollen Namen wie Martin Opitz, Andreas Gryphius, Hofmann von Hofmannswaldau, Friedrich von Logau, Daniel Caspar von Lohenstein, Jakob Böhme und Angelus Silesius übernahm Schlesien für Jahrzehnte die Führung in der deutschen Literatur und wirkte anregend und beispielgebend weit über das deutsche Sprachgebiet hinaus. Da erst 1702 in Breslau eine Universität errichtet wurde, war die studierwillige schlesische akademische Jugend bis dahin gezwungen, die deutschen und europäischen hohen Schulen außerhalb des Landes zu besuchen: Das Eigene wurde so immer wieder hinaus-, und das Fremde hereingetragen. Aufgeschlossenheit und Toleranz waren die natürliche Folge.
In Parallele zum Geistesleben nahm bald nach dem 30jährigen Krieg auch die Baukunst, Malerei und Skulptur im gegenreformatorischen Barock einen ungeahnten glanzvollen Aufschwung. Landauf landab entstanden bald prächtige Neubauten von ganzen Klosterkomplexen, von Kirchen und Kapellen, bald wurden bestehende Anlagen und Gotteshäuser in barocken Formen prächtig neu aus- und umgestaltet. Selbst die vergleichsweise bescheidenen Friedens- und Gnadenkirchen zeigten ein anderswo ungewohntes barockes Gewand. Das Barock, die letzte große gemeineuropäische Kunst- und Lebensform, hat Schlesien voll ergriffen und nachhaltig bis in die Gegenwart geprägt. Auf politischem Gebiet schließlich fällt in die österreichische Zeit ein erster Versuch der Hohenzollern, sich in Schlesien festzusetzen. Dies geschah in einer Zangenbewegung gleichzeitig von Süden und von Norden her. Die fränkisch-ansbachischen Hohenzollern erwarben 1523 das südschlesische Herzogtum Jägerndorf sowie bald darauf die Pfandschaften Oderberg, Beuthen, Oppeln und Ratibor, also den größten Teil Oberschlesiens. Sie verloren ihn aber bis zum Ausbruch des 30jährigen Krieges wieder, als sie von den Habsburgern abfielen und sich auf die Seite des Winterkönigs Friedrich von der Pfalz schlugen. Die brandenburgischen Hohenzollern schlossen mit Herzog Friedrich II. von Liegnitz-Brieg-Wohlau 1537 einen Erbvertrag, der freilich vom habsburgischen Oberherrn des Herzogs aus guten Gründen nicht anerkannt wurde. Die Hohenzollern scheiterten so vorerst mit ihrem Doppelgriff nach Schlesien, ließen dieses jedoch nicht aus den Augen und reklamierten weiterhin fragwürdige, unsichere Rechtsansprüche. Als sie dann beim Regierungsantritt Maria Theresias 1740 in einer für Preußen günstigen, für österreich ungünstigen Situation mit ihren Truppen in Schlesien einmarschierten, gaben sie nach außen vor, nur alte Rechtstitel auf Schlesien zu realisieren. In Wirklichkeit jedoch handelte es sich bei diesem Vorgehen um einen machtpolitischen Schritt ohne verläßliche rechtliche Grundlage. Es bedurfte denn auch dreier verlustreicher schlesischer Kriege Friedrich II., des Großen, (1740 bis 1742, 1744 bis 1745 und 1756 bis 1763), um den Wechsel des schlesischen Oderlandes vom katholischen österreichisch-deutschen Süden zum protestantischen preußisch-deutschen Norden zu erzwingen. Dieser gewaltsame Wechsel - österreich hatte Schlesien seinerzeit legitim erheiratet - erfolgte außerdem um den Preis der Teilung des Landes in das größere Preußisch-Schlesien, das etwa sechs Siebentel ausmachte, und das kleinere österreichisch-Schlesien, das nur ein Siebentel umfaßte. Der übergang an Preußen wurde von den vorwiegend in Niederschlesien ansässigen Protestanten freudig begrüßt, von den zumeist in Oberschlesien lebenden Katholiken dagegen beklagt und mit gemischten Gefühlen hingenommen. Durch den Verlust Schlesiens, der damals bestindustrialisierten, industriereichsten Provinz der Habsburgermonarchie, wurde österreich spürbar geschwächt, Preußen aber so nachhaltig gestärkt, daß es Schritt für Schritt zur Vormacht in Deutschland aufsteigen konnte.
Sofort mit dem Beginn der f ü n f t e n, der preußischen Periode (1724/63), setzte eine umfassende, durchgreifende straffe Neuorganisation des schlesischen Landes im Geiste Preußens und seinen Staatsbedürfnissen entsprechend ein. Die österreichische Vielfalt, Individualität, Großzügigkeit und wohl auch Lässigkeit wich der preußischen Einheitlichkeit, Strenge, Korrektheit und Ordnung. Statt kunstvoller, aber wenig nützlicher Kirchen, Klöster und Palais wurden jetzt wie man bissig spottete - nüchtern-praktische Finanzämter, Gefängnisse und Kasernen gebaut. Die Reste der alten ständischen Selbstverwaltung wurden beseitigt, dafür Kriegs- und Domänenkammern errichtet. Die preußische Kreiseinteilung mit dem Landrat an der Spitze löste die alte Weichbildverfassung ab. Die bisher frei aus Privatinitiative operierende Wirtschaft erfuhr eine kräftige und zielstrebige Förderung und Lenkung. Die oberschlesische Industrie - in Ansätzen bereits in der ausgehenden österreichischen Zeit vorhanden - nahm mit staatlicher Hilfe und Planung einen gewaltigen Aufschwung zum zweitgrößten deutschen Industrierevier. Das Verkehrsnetz wurde zeit- und bedürfnisgerecht ausgebaut. Die organisatorischen, verwaltungsmäßigen, wirtschaftlichen, ja selbst schulischen Leistungen Preußens in Schlesien sind unübersehbar. Doch hat es dieser so aufgeklärte, fortschrittliche, rationalistische Staat nicht fertiggebracht, die vorhandenen sozialen, konfessionellen und nationalen Spannungen vor allem im oberschlesischen Grenzbereich weitsichtig und großzügig zu lösen und die betroffene Bevölkerung stärker an sich heranzuführen. Nur für kurze Zeit schlug das nationale Herz Deutschlands in den Befreiungskriegen in Schlesien, von wo 1813 der Aufruf "An mein Volk" erging. Die liberale Bewegung, vor allem in Breslau, tat sich - trotz mancher Erfolge - bald schwer. Die Weberunruhen zu Beginn der 40er-Jahre und die Revolution 1848/49 offenbarten wirtschaftliche Mißstände und politische Unzufriedenheit. Der Kulturkampf riß tiefe konfessionelle Wunden, die teils falsch, teils nachlässig behandelten nationalen und sozialen Probleme Oberschlesiens häuften unnötigen Konfliktstoff an. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg war es zu spät: trotz der im ganzen erfolgreich für Deutschland verlaufenen Volksabstimmung im Jahre 1921 mit 60 % deutschen Stimmen mußte der wertvollste Teil des oberschlesischen Industriegebietes auf Veranlassung der Alliierten an das wiedererstandene Polen abgetreten werden.

Hier möchten wir hinzufügen:
Auch der Kreis Groß Wartenberg erlitt in dieser Zeit seinen größten Gebietsverlust, denn er mußte die Halbierung seines Kreisgebietes hinnehmen, wobei die Bevölkerung im Gegensatz zu Oberschlesien nicht einmal gefragt wurde zu welchem Staatsverband sie in Zukunft zugehören wollte.

Professor Menzel schließt dann mit der Feststellung, daß mit der übernahme der Verwaltung Schlesiens durch Polen 1945 für vorläufig unbestimmte Zeit eine neue, s e c h s t e polnische Periode der schlesischen Geschichte begonnen hat. Im Verlaufe der letzten 1000 Jahre hat Schlesien im Wechsel reihum zu allen seinen Nachbarn gehört (Böhmen, Polen, Ungarn, österreich, Preußen) und in ihrem Interessenbereich gelegen, zugleich aber auch eine gewichtige Rolle in der deutschen sowie in der europäischen Geschichte gespielt. Schlesien wurde mehrfach zerstört und wieder aufgebaut, entvölkert, wiederbevölkert, verloren und wiedergewonnen. Polen, das heute Schlesien als Teil seines Staates ansieht, und im Vertrag von Trentschin vor 650 Jahren einst feierlich für alle Zukunft jedem Anspruch auf Schlesien entsagt hat, war 120 Jahre lang als Staat ganz von der Landkarte verschwunden. Es soll uns ein eindringliches Beispiel sein für den geschichtlichen Wandel der Zeit.

Quellenangabe: Beilage zum Rundbrief der Landsmannschaft Schlesien, Bundesgeschäftsstelle, Nr. 9, 1973. Als Manuskript gedruckt, Bonn 1973.

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